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Blick in die Seele des Rechtsradikalen 2010

Psychologische Anmerkungen

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Blick in die Seele des Rechtradikalen
Psychologische Anmerkungen
 
Auch wenn Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt nicht nur ein Problem der Jugend sind, möchte ich im Folgenden vor allem auf Jugendliche eingehen. In der Bundesrepublik sind Morde an MigrantInnen, an Nichtsesshaften und Obdachlosen, Schändungen jüdischer Einrichtungen, Skinhead-Konzerte mit Texten voller Menschenverachtung und Hass, Massenaufmärsche neofaschistischer Parteien und Organisationen beinahe alltäglich geworden. In Österreich (noch?) nicht in diesem Ausmaß, aber doch in den Köpfen.
 
Am Anfang war die Angst
 
Arbeitslosikeit, Unsicherheit der Pensionen, Wirtschaftskrisen, Umweltkatastrophen etc. – es gibt viele gute Gründe, Angst zu haben. Die dafür Verantwortlichen sind aber schwer zu fassen, teils ist es das Schicksal, teils sitzen sie in den Chefetagen der Konzerne oder in den mit unglaublichen Summen ausgestatteten Lobby-Gruppen, auch in den Redaktionen mancher Verblödungsblätter. Das fragwürdige Wirtschaftssystem ist für den einzelnen schwer durchschaubar. Da richtet man seine durch die Ängste ausgelöste Wut lieber auf konkret Fassbare wie Ausländer etc. Nationalismus (Wir sind die Edlen, die Besseren, nicht so ein Gesindel wie diese Schmarotzer) und Rechtsextremismus (Da gehört eine starke Hand her. Unterm Hitler hätt’s das nichtgegeben) helfen, leichter mit diesen Ängsten zurecht zu kommen.
 
Unterscheidung
 
Rechtsextreme: sind gekennzeichnet durch
 
* Rechtfertigung oder Verharmlosung des Nationalsozialismus
* Weltbild, in dem das eigene Volk höherwertig ist
* Gewaltbereitschaft
 
Rechtsextreme Tendenz:
 
* Nur einer oder zwei der drei Faktoren ist vorhanden
* Innere Ambivalenz: Er sagt z.B.: „Ausländer raus!“ doch später unter dem Einfluss seiner Schulklasse „Ich kann mich auch in einen Ausländer hineindenken, der attackiert wird. Ich finde das auch nicht gut.“
 
Bei einer Arbeit mit österreichischen, v.a. Kärntner Schülern durch ein Team um Klaus Ottomeyer, einer Gruppe von Forschern, die zugleich therapeutische und pädagogische Praktiker sind, machten beide Gruppen zusammen 1998 etwa 16 % der Schüler aus, fast ausschließlich Burschen.
 
In den meisten kämpft ein rechtsradikaler gegen einen liberalen Seelenanteil. Das gilt sogar für Skinheads und Hooligans etc.,  die aus ihrer Ansicht über Ausländer und Gewalt keinen Hehl machen.
 
 
Was steckt dahinter?
 
Früher wuchs eine rechtsextreme Einstellung meist auf dem Boden eines patriarchalen Familienmilieus, oft mit einer idealisierten Vaterfigur, was eine autoritär-zwanghafte Persönlichkeitsstruktur förderte.
 
Heute haben Rechtsradikale oft eine offene Rechnung mit ihrem Vater. Sie sind beziehungshungrig und anfällig für agitatorische Verführung – zumal dahinter meist eine depressive Problematik steckt. Sie leiden unter dem Verlust von Halt und Selbstwert, der in der radikalen Gruppe gestärkt wird. Rechtsextremismus kann man psychologisch auch als Selbstheilungsversuch sehen, indem man Unsicherheit mit Aggression überspielt und so aushaltbar macht.
 
Statt des in der Pubertät als unvollständig und minderwertig erlebten Körpers wird nun der Fremde abgewertet und verachtet. Das ist einfacher und angenehmer. Unsicherheit und eigene Angst wird immerhin kurzfristig aushaltbarer, wenn man sie anderen einjagt. Gewalt wirkt dabei wie eine Droge, die das männliche Selbstwertgefühl vorübergehend hebt, und verhindert, dass sich das eigene Gewissen meldet.
 
Schuldgefühle vertreibt man zusätzlich, indem man erfindet, der andere hätte einen provoziert – woran man dann auch glaubt. So wird aus dem Täter ein Opfer und aus den Opfern Täter.
 
Man muss also einiges tun, um die eigene Menschlichkeit und das Mitgefühl zurückzuhalten. Z.B. braucht man dazu die Vorstellung vom lebensunwerten Leben, von der minderwertigen Rasse... Ungeziefer gehört eben vertilgt, da darf (und muss) man schon brutal sein!
 
Interessantweise fand die Forschergruppe um Klaus Ottomeyer für die Verhinderung des Mitgefühls auch eine Kultur des feindseligen und abwertenden Witzes bedeutsam.
 
Oft gibt es eine ambivalente psychische Verstrickung mit dem Vater oder Großvater, die oft aktive Nazis gewesen waren. So entwickelt man ein gnadenloses Über-Ich, das keine Schwäche zulässt.
 
„Türk' und Jud', giftig's Blut" schmierten 
kürzlich Neonazis auf die KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Früher waren es auch Schwule, Zigeuner und Linke etc. – im Prinzip spielt es keine Rolle, welche Gruppen man auswählt: sie fungieren wie ein Rohrschachtest auf zwei Beinen: man kann alles in sie hineinprojizieren, v.a., was einen an einem selbst (bewusst oder unbewusst) stört.
 
Unterstützt wird man dabei durch Kameradschafts- und Gedenk-Rituale in Bezug auf den 2. Weltkrieg mit ihrer Verherrlichung des Heldentodes, wodurch es möglich wird, dass die Verantwortung und die riesige Schuld, die auf unserem Volk lastet, abgewehrt und nicht wahrgenommen werden kann.
 
Was tun?
 
* Die Ängste der Bevölkerung, die rechte Populisten wie Seismographen aufzeigen, sollten ernst genommen werden. Statt dass Bürgerliche und sogar Sozialdemokraten – der Wählerstimmen wegen – den Rechten nachhecheln, wäre es richtig, nicht nur öffentlich klar Stellung zu beziehen (wie kürzlich gegen die latente Wiederbetätigung der rechten Präsidentschaftskandidatin), sondern entsprechende mutige politische Handlungen zu setzen z.B. Kontakte mit Asylanten zu unterstützen, statt sie einzusperren, die Integration von Ausländern aktiv zu fördern etc.
Die Koalition von Wolfgang Schüssel mit der FPÖ hat rechtsextremes Gedankengut wieder salonfähig gemacht – wie nie seit dem Ende der Hitler-Diktatur. Bleibend bis heute und noch spürbar z.B. in den Positionen des Innenministeriums oder in der Besetzung des Nationalratspräsidiums.
 
* Was nützt es, wenn die Holocaust-Leugnung geächtet wird, aber die dahinterstehende Ideologie fröhliche Urständ feiern kann, z.B. in immer schärferen Gesetzen, die die Ausländerfeindlichkeit im Lande entscheidend fördern. Die politischen Parteien hätten es in der Hand, ein Klima zu schaffen, das z.B. Verachtung und Pauschalverdächtigungen von Ausländern nicht mehr weiter salonfähig macht. Damit wäre auch der Boden etwas weniger bereit, auf dem Jugendliche zu Rechtsextremen werden.
 
* Umgekehrt sollte man auch bei Rechten wie bei Rechtsextremen auf ihren heilen Persönlichkeitsanteil nicht vergessen. Statt sie unsererseits abzuwerten, sollten wir diese menschliche Seite im gefährdeten Jugendlichen ansprechen – was schwierig, aber möglich ist, wie ich aus eigener Erfahrung als Psychotherapeut weiß. Zum Beispiel: ein Bosnier(!) hatte sich einer rechtsradikalen Gruppe angeschlossen, um sozialen Anschluss zu haben und geschätzt zu werden. Durch eine Therapie lernte er auch seine erste Heimat schätzen und konnte seine Sehnsucht nach Anerkennung in einem neuen Freundeskreis befriedigen.
 
* Klaus Ottomeyer stellte in seiner Arbeit mit Rechtsextremen verwundert fest: „Bei den Schülern ist ein hohes Maß an Kommunikation, an Beziehungshunger und Bereitschaft zur Metakommunikation vorhanden. Die Jugendlichen sperren die Augen und Ohren auf, wenn man ihnen etwas über ihre Probleme und über ihre Art zu kommunizieren mitteilt. Sie lassen sich ein in die unsicheren Prozesse des Umlernens, verlieren dabei nie ihren Humor und ihre Lust am Mitmachen.“ (Interview in PSYCHOLOGIE HEUTE 1/1999) Man muss also auf sie zugehen. Durch lokale Aktionspläne versucht in der BRD z.B. die Aktion „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ eine wirkungsvolle Prävention zu erreichen.
 
* Wir müssen aufpassen, dass wir in unserer Angst vor den „rechten Schweinen“ nicht das selbe tun, wie sie mit Linken, Juden und Ausländern, und uns besser als sie fühlen und moralisch überlegen, sondern dass wir ihre – wenn auch oft unterdrückte – Menschlichkeit sehen und ihre Würde. „Wir werden zu dem, wogegen wir kämpfen“ stimmt leider auch für uns. Genauer: wir sind schon, wogegen wir kämpfen. In jedem von uns steckt – auch – ein Rechtsextremer, den wir aber gar nicht mögen, dessen wir uns schämen, und den wir lieber bei den anderen bekämpfen. Während sie ihre Schlagstöcke schwingen, greifen wir dann zur moralischen Keule.
 
 
Literatur:
Jutta Menschik-Bendele, Jutta/ Ottomeyer, Klaus: Sozialpsychologie des Rechtsextremismus.- Wiesbaden, 2002
 
Erschienen in "Information - Diskussion"(KAB / OÖ) im Mai 2010