Kritische Anmerkungen aus schamanischer Sicht
Es gibt viele schamanische Elemente im Christentum. Das ist selbstverständlich, weil die jüdisch-christliche Tradition wie alle Religionen ja auf der viel älteren schamanischen Tradition aufbauen. Als einziges schamanisches Element sollen seit den letzten Jahren Teufelsaustreibungen wieder kirchenamtlich gefördert werden: Auf Drängen des verstorbenen und auch des jetzigen Papstes Benedikt XVI. sollen Exorzismen wieder in die kirchliche Praxis eingeführt werden. An sich erfreulich, dass diese alte schamanische Technik wieder gewürdigt und praktiziert werden soll. Ich sehe die vatikanische Entwicklung trotzdem mit sehr skeptischem Auge. Aus meiner Sicht ist nicht das Problem, DASS Teufel ausgetrieben werden sollen, sondern WIE.
Der Teufel eine Projektion unserer Schattenseiten nach außen
Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Dämonen und der Teufel mit seiner langen Ideengeschichte im Juden- und Christentum ursprünglich gar nicht gleichzusetzen sind: Dass jeder Mensch neben positiven auch destruktive Anteile in sich hat, ist unbestritten und entspricht unserer leidvollen Erfahrung. In der schamanischen und auch in der christlichen Tradition werden diese (psychologisch gesprochen) nach außen projiziert und als außerhalb von uns liegende Entitäten, als Engel oder gute Geister bzw. als Dämonen oder Teufel beschrieben. Das machen wir ja auch mit dem Schönsten in uns, das wir ja ebenfalls nach außen projizieren und als Person, als Gott bezeichnen. Schon in der Steinzeit haben es unsere Vorfahren so gemacht und das war vielleicht clever, weil schwierige Situationen so oft leichter bewältigbar werden durch Nutzung der übernatürlichen Ressourcen im Umgang mit den störenden Geistern. Es hat auch Eingang gefunden in die westliche Psychotherapie z.B. in den gestalttherapeutischen Dialog mit "abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen", Ich finde es daher auch in Ordnung, dass im kirchlichen Exorzismus die quälenden und destruktiven Elemente angesprochen und in die Schranken gewiesen werden - wie es ja auch in der berührenden Versuchungs-Szene Jesu am Ende seines Fastens in der Wüste geschildert wird (Luk 4,1ff). In der schamanischen Ausdrucksweise der Bibel treten Jesus seine Machtlust und Publicity-Sucht - personifiziert als Diabolos, der alles durcheinanderwirft - gegenüber. Ob diese Stelle als historisch angesehen wird oder nicht, ist unerheblich: sie zeigt (in schamanischer Ausdrucksweise) eine typische menschliche Situation auf, wie wir sie ja kennen. Paradox finde ich in der kirchlichen Praxis zudem das starke Abgrenzungsbedürfnis von bisherigen und anderen Formen des Exorzismus, die als 'Aberglaube' abgelehnt werden. Ähnlich wie im muslimischen Einflussbereich, wo oft zur Behandlung Koransuren rezitiert und gleich wirksame andere - schamanische - Formen ebenfalls abgewertet werden.
"Liebt eure Feinde! tut denen Gutes, die euch hassen!"
Was aber meiner eigenen sowohl psychotherapeutischen wie schamanischen Erfahrung total widerspricht, ist Bosheit und Feindschaft gegenüber dem so genannten "Bösen".
Schamanisch geht man in Trance, um Visionen über den Patienten zu erhalten, in die man dann oft - rituell - als irdischer Repräsentant der guten Mächte eingreifen soll. "Besessenheit" erlebe ich in meiner schamanischen Heilarbeit immer wieder. Sie wird absolut unspektakulär gelöst - meist, indem der oder die "Besetzer", die ich in Trance sehe, verwandelt werden. Manchmal soll ich die ganze Sitzung lang nicht den Patienten behandeln, sondern den so genannten "Bösen", damit er selbst erlöst wird und so den Patienten freigeben kann. Was mich darin bestätigt, dass das "Böse" ohnehin "nur" ein verblendetes, oft überhebliches, verirrtes "Gutes" ist. Für den Patienten ist es meist ein schmerzlicher Prozess. Dabei handelt es sich immer um innere, gefühlsmäßige Vorgänge. Gewalt hat hier überhaupt keinen Platz.
Wogegen es beim kirchlichen Exorzismus um Macht und Machtausübung geht, was zwar der Weltanschauung der erzreaktionären kirchlichen und auch politisch oft extrem rechts stehenden Promotoren entspricht, aber Kranken gegenüber absolut nichts verloren hat.
Psychologisch gesehen handelt es sich bei dem, was in der Tradition der Urvölker und der Kirche als 'Besetzung' bezeichnet und erlebt wird, meist um "Verstrickungen" mit Familienangehörigen, Vorfahren etc., was ja oft vorkommt.
Außerdem kennen wir Psychologen das Phänomen, dass sich bei einer Entscheidung für etwas immer auch der Gegenpol meldet. Natürlich nicht immer so massiv, wie bei den 'Besessenen', die im Film von Helge Cramer dokumentiert werden. Solche exzessiven Ausbrüche kennen wir fast nur von Patienten mit einer dissoziativen ldentitätsstörung (vormals 'multipler Persönlichkeitsstörung'), die gerade eine Wahnvorstellung erleben, was man auch an der oft auftretenden typischen Lippenstellung ablesen kann.
Egal, ob es sich - de facto - um Vorfahren handelt, mit denen man (unbewusst) verbunden ist oder um eigene Persönlichkeitsanteile: diese werden nie bekämpft! Sondern es geht meist um eine klare Trennung der Schicksale bzw. um ein Annehmen und Integrieren dieser bisher unerwünschten und bekämpften Seelenanteile.
Die Dämonen füttern?
Ganz ähnlich wird es buddhistisch gesehen, z.B. in dem Buch der tibetischen Nonne Tsultrim Allione mit dem Titel "Den Dämonen Nahrung gebenÒ:
"Wenn wir unsere persönlichen und kollektiven Schattenkräfte 'nähren', statt sie zu bekämpfen, können wir jenseits der Gut-böse-Trennung Integration erreichen, wo die Dämonen sich wandeln zum Daimonion, d.h. zu spirituellen Helfern und Verbündeten."
Was m.E. auch christlich-theologisch zu vertreten ist. Sollte etwa der Satz in Luk 6,27f, der für mich die Höhe des Humanums darstellt
"Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln",
für den sogenannten Teufel nicht gelten?
"Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe. Jagt der Liebe nach!"
heißt es im 1. Brief des Ppaulus an die Korinther 13,13f
Der bekannte Publizist Friedrich Heer meinte, Friede sei nur dann möglich, wenn es zu einer Integration des Teufels kommt. Man kann nämlich nur so tun, als ob das Destruktive nicht Teil der irdischen Existenz wäre oder nur bei anderen vorkäme.
Als Gegenargument wird manchmal das berühmte Wort von Augustinus herangezogen:
"Da niemand seiner Natur nach böse ist, sondern jeder Böse nur durch die Sünde böse ist, so darf der, welcher nach Gott lebt, weder den Menschen hassen wegen der Sünde noch die Sünde lieben wegen des Menschen, sondern muss die Sünde hassen und den Menschen lieben. Denn wenn die Sünde beseitigt ist, so bleibt nur solches zurück, was er zu lieben hat, und nichts, was er zu hassen hätte."
Man könnte aus dem Wort des Kirchenvaters auch den Schluss ziehen, dass es nicht nur für Menschen, sondern auch für den gefallenen Lucifer zu gelten hat, in dem Sinn, dass auch der Teufel zu lieben, aber seine Sünde zu hassen ist. Bleibt die Frage:
Was heißt "die Sünde hassen"?
Markus 5,1 ff berichtet die eindrucksvolle Behandlung eines Besessenen. Ist das hassen?
"Sie kamen an das andere Ufer des Sees, in das Gebiet von Gerasa. Als er aus dem Boot stieg, lief ihm ein Mann entgegen, der von einem unreinen Geist besessen war. Er kam von den Grabhöhlen, in denen er lebte. Man konnte ihn nicht bändigen, nicht einmal mit Fesseln. Schon oft hatte man ihn an Händen und Füßen gefesselt, aber er hatte die Ketten gesprengt und die Fesseln zerrissen; niemand konnte ihn bezwingen. Bei Tag und Nacht schrie er unaufhörlich in den Grabhöhlen und auf den Bergen und schlug sich mit Steinen. Als er Jesus von weitem sah, lief er zu ihm hin, warf sich vor ihm nieder und schrie laut: Was habe ich mit dir zu tun, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht! Jesus hatte nämlich zu ihm gesagt: Verlass diesen Mann, du unreiner Geist! Jesus fragte ihn: Wie heißt du? Er antwortete: Mein Name ist Legion; denn wir sind viele. Und er flehte Jesus an, sie nicht aus dieser Gegend zu verbannen. Nun weidete dort an einem Berghang gerade eine große Schweineherde. Da baten ihn die Dämonen: Lass uns doch in die Schweine hineinfahren! erlaubte es ihnen. Darauf verließen die unreinen Geister den Menschen und fuhren in die Schweine und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See. Es waren etwa zweitausend Tiere und alle ertranken. Die Hirten flohen und erzählten alles in der Stadt und in den Dörfern. Darauf eilten die Leute herbei, um zu sehen, was geschehen war. Sie kamen zu Jesus und sahen bei ihm den Mann, der von der Legion Dämonen besessen gewesen war. Er saß ordentlich gekleidet da und war wieder bei Verstand. Da fürchteten sie sich. Die, die alles gesehen hatten, berichteten ihnen, was mit dem Besessenen und mit den Schweinen geschehen war. Darauf baten die Leute Jesus, ihr Gebiet zu verlassen."
Auch der Schülerkreis Jesu trieb erfolgreich Teufel und Dämonen aus
"Die Zweiundsiebzig kehrten zurück und berichteten voll Freude: Herr, sogar die Dämonen gehorchen uns, wenn wir deinen Namen aussprechen. Da sagte er zu ihnen: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. Seht, ich habe euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und die ganze Macht des Feindes zu überwinden. Nichts wird euch schaden können"
berichtet Lukas 10,17 ff
Der Theologe Jozef NIEWIADOMSKI erläutert dazu:
"Die modernen Skeptiker und die moderaten Kirchgänger wären gut beraten, wenn sie in den Prolog des Ijobbuches einen Blick werfen würden. Dort wird nämlich berichtet, dass es am himmlischen Hof einen Miesmacher gibt. Und dieser heißt Satan. Was er auch immer sagt und tut: im Grunde läuft alles auf das Eine hinaus. Er streut Gerüchte aus, schwärzt Menschen an, sucht ständig nach einer Leiche im Keller, gibt sich nicht zufrieden, bis er den letzten Gerechten - dort den Ijob selber - in seine Intrigen hineinzieht, ihn verleumdet, anschuldigt. Satan: das heißt ja nichts anderes als der große Ankläger, Miesmacher par excellence... Der Spruch Jesu impliziert aber noch etwas. Nämlich die Frage, wohin dieser Satan fiel. Wo haben der Miesmacher, die Verdächtigung und der Geist der Anschuldigung ihre Heimat gefunden? Der Satan fiel auf die Erde. Unter den Menschen treibt das Satanische sein Unwesen. Menschen - und nur Menschen - verdächtigen einander, machen einander schlecht, können einander bis aufs Blut verfolgen. So etwas tut ja kein Tier!"
Laut Lukas ist aber Gott überlegen, dessen Geist "parakletos", lateinisch: "advocatus", auf deutsch: "der Herbeigerufene", frei: "Tröster, Beistand und Verteidiger" genannt wird. Auch bei intrapsychischer Auffassung, wenn ich meine diabolischen Eigenschaften nicht auf den Teufel als eine Person außerhalb von mir projiziere, werde ich diese falsch finden und ihnen "widersagen", mich selbst aber dennoch kostbar finden und wertschätzen. Ob bekämpfen wie Antonius in der Wüste oder füttern: es ist fair, mich und andere nicht in Bausch und Bogen zu verurteilen, da es unvermeidlich ist, dass Licht UND Schatten in uns ist. Es ist besser, man akzeptiert diese Realität. Wir Menschen sind so konstruiert.
Liebevolle und behutsame Behandlungsmethoden
Eine weitere schwerwiegende Kritik ist natürlich, dass es professionelle (medizinische, psychotherapeutische) und liebevollere und behutsamere Methoden gibt, z.B. einen Schizophrenen, PatientInnen mit einer dissoziativen Identitätsstörung oder Epileptiker medikamentös und psychotherapeutisch zu behandeln. Im Klartext: Mich schreckt die Bösartigkeit von Exorzisten, die fanatisch und rücksichtslos für das Gute kämpfen und unter Geringschätzung des liebevollen Wohlwollens aller Kreatur gegenüber - manchmal sogar im physischen Sinn - über Leichen gehen. Ob nicht hier der Satz anzuwenden wäre:
"Wir werden zu dem, wogegen wir kämpfen".
Vermutlich ist man es aber vorher schon gewesen. Es besteht die Gefahr, so erst die Realität zu schaffen, die man bekämpfen will.
Eines der wichtigsten Grundprinzipien ist,
dass anderen nicht geschadet werden darf,
und dieses Prinzip schließt alle Menschen, alles Leben und alle Dinge dieser Welt mit ein.
Rolling Thunder
Auch wenn es real wohl nie so spektakulär zugeht wie im Film "Der Exorzist" - immer wieder liest man entsetzliche Meldungen in den Medien, wo Patienten wie z.B. die Deutsche Anneliese Michel nach Exorzismen zu Tode kommen, weil nicht oder zu wenig für seriöse psychotherapeutische und medizinische Behandlung gesorgt worden war. Der Fall wurde durch den Theologen und Psychotherapeuten Sepp Maderegger ausführlich beschrieben, woraufhin auch Konsequenzen gezogen wurden. So sollen z.B. Psychiater zunächst feststellen, ob die vermeintlich besessene Person nicht in Wirklichkeit krank ist. Aus meiner Erfahrung sind 'Besessenheiten' aber selbstverständlich immer krankhaft und umgekehrt gehen z.B. Wahnvorstellungen aus schamanischer Sicht normalerweise immer auf Besetzungen zurück.
Stigmatisierung und moralische Abwertung der Patienten
Ein weiteres großes Problem ist die Stigmatisierung und moralische Abwertung der PatientInnen, die mit der kirchlichen Auffassung von Besessenheit einhergeht. Wer möchte schon als Handlanger des Teufels bezeichnet werden! Auf Grund der kirchlichen Geschichte, wo so viele Menschen mit der Beschuldigung, vom Teufel besessen zu sein, gefoltert und mit einer der grausamsten Todesarten, dem Verbrennen, bestraft wurden, sollte man besonders vorsichtig sein und eher davon Abstand nehmen, um nicht Assoziationen mit den Hexenverbrennungen zu wecken. Zudem: Fürchten sich andere vor dem Besessenen, kann dies sicher für den Heilungsprozess nicht dienlich sein.
Wenn der holländische Seelsorger Willem C. van Dam zu den Einfallspforten für dämonische Einflüsse etwa neben Satanismus, Traumatisierung und Drogenmissbrauch auch Hypnose oder fernöstliche Meditationen zählt, entspricht dies durchaus möglichen Auslösern für Wahnvorstellungen, wie man sie auch als Psychotherapeut kennt. Allerdings nicht, weil etwa Hypnose und Meditation etc. teuflisch wären, sondern weil es Patientengruppen gibt wie z.B. Borderliner, bei denen diese Methoden zumindest am Anfang der Behandlung kontraindiziert sind.
Besonders Sexualität und Aggression wird verteufelt
Abgesehen von dem Versuch konservativer Bischöfe und Priester, mit den sogenannten 'Teufelsbotschaften' die Reformen des 2. Vatikanischen Konzils zu 'verteufeln': auffallend ist, dass es bei kirchlichen Exorzismen oft um Sexualität und Aggression geht. Gerade diese wesentlichen Triebe des Menschen werden ja im kirchlichen Umfeld häufig abgewertet und abgespalten. Es ist eine Tatsache, dass es ekklesiogene Krankheiten gibt, z.B. Ängste und Störungen, die durch die Art der kirchlichen Verkündigung entstanden sind und die durch diese Art von Exorzismus wohl noch verstärkt werden.
Die Verkündigung eines guten Gottes kann heilende Wirkung haben
- führt sie doch zu einem ganz anderen Weltbild und Selbstverständnis. Wie in der Psychotherapie geht es auch in den spirituellen Behandlungsformen primär um die liebevolle Zuwendung zum Patienten, wie auch Dean Ornish in seinem Buch "Heilen mit Liebe" nachgewiesen hat. Man steht ihm zur Seite, wenn er mit dem in Kontakt kommt, unter dem er leidet - was häufig ein schmerzlicher Prozess ist, der oft mit Scham, Wutausbrüchen, tiefem Weinen und Schluchzen verbunden ist. Man könnte auch sagen: Es geht um eine Aussöhnung mit der Geschichte. Unterstützend für den Heilungsprozess ist eine liebevolle Begleitung. Ornish: "Es kommt darauf an, dass wir unser Herz wirklich öffnen."