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Ist Schamanismus mit dem Christentum kompatibel? 2007

Bei achtungsvoller Betrachtung entdeckt man unerwartete Übereinstimmungen (Artikel in KIRCHE IN)

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Mein Vortrag beim Weltkongress der Ganzheitsmedizin 2016 "Schamanische Elemente im Christentum" (43 Min.) ist erhältlich auf http://www.dvd-wissen.com/Kongresse/kongresse-2016/weltkongress-ganzheitsmedizin-2016/thalhammer-schamanismus-christentum.html (€ 16,95)
 
Außerhalb der Kirche kein Heil?

Es hat Tradition in der Kirche, alles, was nicht aus eigener Provenienz stammt, abzuwerten oder als teuflisch zu verurteilen. (Vgl. Apg 8, 5 ff , 13,6 ff oder 16,16 ff) Aufbauend auf den Lehren des energischen Kirchenvaters Tertullian (+ ca. 220) prägte Cyprian von Karthago (+ 258 ) den verhängnisvollen Satz: "Extra ecclesiam salus non est. (Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil.) Unter "HeilÒ verstand er vor allem die rechte Lehre und rechtmäßige Sakramente, was nur innerhalb der mit dem rechtmäßigen Bischof verbundenen Gemeinde zu finden wäre. Der Satz wurde freilich bald als das "Seelenheil" des Menschen betreffend verstanden und erst beim 2. Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) zurückgenommen. In Verbindung mit dem Missionsbefehl aus dem Matthäus-Evangelium 28,19f 'Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe' hatte er verheerende Folgen. Ganz abgesehen davon, dass es wie bei der "Evangelisierung" Lateinamerikas vor allem um Mehrung von Besitz und Macht ging, strömten nun mutige Missionare aus, die verlorenen Seelen zu retten. Wollten sich die Heiden aber nicht retten lassen, sondern bei ihrer bisherigen Weltanschauung und ihrer Form zu glauben bleiben, setzte man nicht selten Gewalt ein, um aus den "Wilden" "ordentliche Christenmenschen" zu machen - oft in guter Absicht, ähnlich wie man einen Selbstmörder massiv zurückhält, um ihn vor dem Tod zu retten. Und aus dieser Doktrin heraus ging es ja um die Rettung vor dem ewigen Tod! Da fand man Gewalt schon angemessen. Die seriösen unter den "Gottesmännern" suchten also Gott in alle Welt zu bringen, damit die fremden Völker gerettet würden. Sie waren in der Regel gar nicht auf die Idee gekommen, dass Gott schon längst dort sein könnte und - wenn auch unter anderen Namen und mit unbekannten Riten - dort längst verehrt wurde. So konnten sie ihn auch nicht entdecken und die fremden Formen seiner Verehrung würdigen.

Der Geist weht, wo er will

Dabei hatten einst, die sich Jesuaner nannten, ihre jüdischen Landsleute mit der Geschichte schockiert, dass ausgerechnet drei dahergelaufene Magier (Schamanen?) aus fremden Kulturen auf Grund ihrer Horoskope den neugeborenen Sohn Gottes als erste begrüßten und Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke überreichten, wogegen die einheimischen Theologen und die Machthaber in der Hauptstadt keine Ahnung hatten. (Matth 2) Gottes Geist, heißt ihre befreiende Botschaft, macht nicht halt an Grenzen von Völkern oder Religionen. Die ganze Welt und jeder Mensch zu allen Zeiten und auf allen Erdteilen ist von vornherein willkommen und bedingungslos angenommen, hieß das "Euangelion", die gute Botschaft. "Ich gieße meinen Geist aus über alle Menschen. Dann werden eure Söhne und Töchter prophetisch begabt sein, eure Greise werden wahre Träume haben, eure Jungmänner Gesichte schauen"

heißt es schon beim Propheten Joel 3. Schaut man nun mit offenem Herzen auf die schamanische Tradition: Was entdeckt man?

Die älteste Weltanschauung

Schamanismus ist die Basis aller späteren Hochreligionen, auch des Judentums und Christentums - an Alter mit seinen mehr als 30.000 Jahren allen anderen an Erfahrung voraus. Wie von den späteren Religionen übernommen, geht man von einem Schöpfergott aus, der alles Existierende ins Leben ruft und am Leben erhält. Und von Wesenheiten, die zwischen Gott und der Welt vermitteln. In den späteren Hochreligionen werden diese Geistwesen oft als "Engel" bezeichnet, was wörtlich "Botschafter" bedeutet, also Kommunikatoren zwischen dem unfassbaren Urgrund des Seins und dem Menschen.

Ist Schamanismus eine Religion? Darüber ist man sich uneinig. Meist wird er als Teil des "Animismus" (weil alles Existierende als beseelt aufgefasst wird) oder unter "Naturreligion" geführt. Auf jeden Fall ist "re-ligio", die Rückverbindung des Irdischen mit dem Übernatürlichen, zentral in der schamanischen Weltanschauung und Praxis. Allerdings fehlt eine Institution mit Leitung etc. Und es gibt eine Nähe zur späteren Mystik der Hochreligionen: die Reduktion von Denken und Wollen, die Einübung des Loslassens und der Hingabe, kurz der Hintanstellung des Ego macht den Schamanen zum Vorläufer und wohl auch zum Vorbild der späteren Propheten, Gottesmänner und Mystikerinnen.

Der Schamane

Das Wort kommt aus dem Tungusischen, es ist auch dort ein Fremdwort, kommt wahrscheinlich aus dem Sanskrit und bedeutet "der Erregte, Bewegte, Feurige" - die exakte Bedeutung ist nicht eindeutig eruierbar. Es wurde von den Anthropologen als Begriff für alle Heiler in den Stammeskulturen eingeführt, die in Trance mit Hilfe von Geistwesen im Dienst der Gemeinschaft Probleme lösen. Eine gute Einführung findet sich in Mircea ELIADE's " Schamanismus und archaische Ekstasetechnik". Sie haben auch priesterliche Funktionen, die an den Schnittstellen des Lebens wie Geburt, Erwachsenwerden, Heirat und Tod auf den Plan treten; sie sind Propheten und Schicksalskundige, geistliche Führer und Berater des Häuptlings und des Stammes. Sie beschwören Jagdglück, Wetter und die Fruchtbarkeit der Erde und begleiten ihr Volk durch die Jahreszeiten-Rituale. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Verbindung ihres Volkes mit der übrigen Natur und den transzendentalen Welten aufrecht und in Harmonie zu halten.

Wie heilt ein Schamane?

Zur Lösung von Problemen oder zur Heilung von Krankheiten wird nicht nur - wie in unserer Kultur fast ausschließlich - der Verstand und das Gespräch genützt, sondern im Gegenteil das Denken reduziert, das Ego und die eigenen Wünsche und Absichten zurückgestellt: Man geht in einen Trancezustand und erhält so Antworten auf Fragen - als Psychologe würde ich sagen: aus der Fülle und Weisheit des Unbewussten. So wie dies auch in mehreren bei uns üblichen Psychotherapierichtungen praktiziert wird, z.B. in der Hypnotherapie oder anderen Richtungen der "Humanistsichen Psychologie". Die Schamanin redet aber nicht vom Unbewussten, sondern erlebt diese Ressourcen außerhalb von sich: in mächtigen guten Geistwesen (Engeln, Ahnen ...), von denen sie sich belehren und führen lässt.

Wie heilte Jesus?

Vergleicht man dies mit der Heilpraxis von Jesus, wie sie in der Heiligen Schrift berichtet wird, stellt man fest, dass er weder aus der unbewussten Weisheit noch mit Hilfe von Engeln die Kranken behandelt, sondern aus der Verbundenheit mit Gott heraus: "Ich und der Vater sind eins." Offensichtlich, um in diesem Bewusstsein zu bleiben, zieht er sich immer wieder in die Einsamkeit zurück, um zu beten - was er zusammen mit Fasten auch für die Behandlung besonders schwieriger Fälle empfiehlt. Aus diesem Einssein mit dem Vater heraus berührt er den Patienten, macht ein kleines Ritual oder eine Fernheilung für Abwesende. Der Beitrag des Patienten besteht in der Hingabe, im Vertrauen: "Dein Glaube hat Dir geholfen."

Heilungen in der Bibel: nur eine Metapher?

Wir hören im Evangelium immer wieder die vielen Geschichten über Heilungen durch Jesus und seine Schüler. "Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus!" (Matth 10) So hatte Jesus die Zwölf hinausgeschickt zu verkünden: "Das Himmelreich ist nahe!" Wir hören es und erinnern uns vielleicht an unsere Berufung, in die Welt hinauszugehen. Aber keiner denkt dabei z.B. auch an reale körperliche Heilungen. Wir fühlen uns nicht gemeint. Schon gar nicht, wenn Jesus (Joh 14) sagt: "Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und er wird noch größere als diese tun."

Ich wurde ganz aufgeregt, als ich zwanzig Jahre nach meinem Theologiestudium überlegte, ob dieser Auftrag zu heilen und die "Vollmacht über alle Dämonen und Krankheiten zu heilen", nicht doch wörtlich zu nehmen sei. Als Psychotherapeut hatte ich bereits eine Menge unglaublicher psychischer und körperlicher Verwandlungen miterleben dürfen.

Wird nun geheilt mit Hilfe des Unbewussten, der guten Geister oder Gottes?

Könnte es sein, dass das nur drei verschiedene Erklärungen für das selbe sind? Wie drei Sprachen mit unterschiedlichen Traditionen und äußeren Formen? Ich fühle mich als Theologe, Psychologe und Schamane in allen drei Feldern beheimatet und biete sowohl psychotherapeutische wie christliche und schamanische Heilbehandlungen an. Bemerkenswerter Weise stelle stelle ich keinen Unterschied in der Wirkung fest, ob ich z.B. als Gestalttherapeut etwa abgespaltene Persönlichkeitsanteile zu reintegrieren helfe oder als Schamane verlorene Seelenteile zurückhole.

Ich überlasse es den KlientInnen, ob sie sich der psychologischen oder der schamanischen oder einer religiösen Sprache und Bilderwelt bedienen wollen. Meiner Erfahrung nach macht es für die Wirkung wie gesagt ohnehin keinen Unterschied.

Vielleicht ist der Streit, wer im Besitz der Wahrheit ist, ohnehin lächerlich. "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!" Das Wort "Wirklichkeit" bedeutet ohnehin nicht "Wahrheit", sondern offensichtlich etwas, das wirkt. Und das ist für mich als professionellen Problemlöser das Entscheidende.

Durch die Begegnung mit anderen Kulturen und Weltanschauungen entdeckt man oft wieder neu, welche Schätze es in der eigenen Richtung gibt. So sind schon mehrere TeilnehmerInnen nach einem schamanischen (!) Seminar wieder in die Kirche eingetreten oder haben begonnen, wieder ihren israelitischen Glauben zu praktizieren.

August Thalhamer, Jhg. 1943, hat fünf Jahre als katholischer Priester gearbeitet, dann Psychologie studiert und arbeitet seit 1974 als freiberuflicher Psychotherapeut und Wirtschaftspsychologe. Er erlernte mehrere spirituelle Behandlungsformen und veröffentlichte kürzlich in der edition pro mente das Buch: "Der Heilungsweg des Schamanen - im Lichte westlicher Psychotherapie und christlicher Überlieferung" ISBN 10: 3-901409-85-8 ISBN 13: 978-3-901409-85-1

Erschienen in KIRCHE IN Dezember 2007